Im Gespräch: Malika Rabahallah und Dr. Carsten Brosda
Ein Schaufenster in die Welt, eine Plattform für Talente und ein Resonanzraum für die Stimmen der Freiheit: Im gemeinsamen Gespräch unterhalten sich Festivalleiterin Malika Rabahallah und Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda über Profil und Bedeutung von FILMFEST HAMBURG. Und darüber, warum es gerade in diesen Zeiten wichtig ist, mit fremden Menschen die Armlehne des Kinosessels zu teilen.
FILMFEST HAMBURG präsentiert Filme aus aller Welt. Wie wird die Balance zwischen internationalem Flair und regionaler Verbundenheit gehalten?
MR: FILMFEST HAMBURG ist ein Publikumsfestival. Wir möchten den Menschen hier vor Ort die besten Filme des Jahres präsentieren, sorgfältig kuratiert. Wir möchten unser Publikum für das Kino begeistern, für das gemeinsame Erleben im Kinosaal, für das Teilen der Emotionen und den anschließenden Austausch. Die Menschen in Hamburg und darüber hinaus sollen zehn Tage lang die besondere Festivalstimmung in der Stadt spüren. Gäste aus aller Welt kommen in unsere schöne Stadt und fahren mit vielen Eindrücken zurück in ihre jeweiligen Heimatländer – im Gepäck: ihr ganz persönliches Hamburg- und Festivalerlebnis. Und wer weiß, vielleicht kommen sie wieder, um hier zu drehen?
CB: FILMFEST HAMBURG ist für mich immer auch ein Schaufenster in die Welt, in andere Kulturen und in Lebenswelten, die ich manches Mal überhaupt erst durch den jeweiligen Film kennenlerne. Kaum ein Medium, kaum eine Kunstform schafft es so gut wie der Film, das Große und das Kleine, das Nahe und das Ferne so zusammenzubringen und erfahrbar zu machen. Und kaum ein Festival schafft es so gut wie FILMFEST HAMBURG, diese Spannung in großartige Erlebnisse für das Publikum zu verwandeln. Daneben ist FILMFEST HAMBURG stabil in der hiesigen Filmszene verankert und bietet lokalen Talenten eine Plattform. Veranstaltungen fördern den Austausch zwischen internationalen Gästen und der hiesigen Filmbranche. Mit den »Hamburger Produktionspreisen« haben wir eine Sektion ins Leben gerufen, die lokales, aber eben auch internationales Produzieren in Hamburg zeigt und auszeichnet. Durch Kooperationen mit der lokalen Kinolandschaft und Einrichtungen in anderen Sparten ist das Festival an vielen Stellen in der Stadt erlebbar. Weltkino zu Gast in Hamburg tut Hamburg gut und wird unserem Selbstverständnis als Tor zur Welt auch filmisch gerecht.
Welche Rolle spielt die Förderung junger Talente und unabhängiger Filmschaffender bei FILMFEST HAMBURG, und wie unterstützt die Stadt Hamburg dieses Engagement?
MR: Eine sehr wichtige, denn wir eröffnen in meinem ersten Jahr als Festivalleiterin mit einem Debütfilm der französischen Regisseurin Louise Courvoisier, auf dem Land gedreht, mit dem wunderbaren Titel Könige des Sommers. Seit Beginn des Festivals werden immer auch erste und zweite Regiearbeiten von Filmemacher*innen gezeigt. Wir sind sehr stolz darauf, dass unsere langjährige Programmleiterin Kathrin Kohlstedde und ihr Team die Talente erkennt und ihren Werdegang begleitet. So liefen bei uns in Hamburg die ersten Arbeiten von Céline Sciamma, Sean Baker, Xavier Dolan, Yorgos Lanthimos, Magnus von Horn, Justine Triet und Mohammad Rasoulof.
Apropos Rasoulof. FILMFEST HAMBURG ist immer auch Heimat für Filmemacher*innen, deren künstlerische Freiheit in ihren Heimatländern eingeschränkt ist.
MR: Deshalb freuen wir uns wirklich sehr, dass Mohammad Rasoulof frei und gesund ist und wir seinen bewegenden, mutigen und hochaktuellen Film Die Saat des heiligen Feigenbaums, der unter erschwerten Bedingungen entstanden ist, zeigen dürfen.
CB: Seit vielen Jahren arbeitet FILMFEST HAMBURG immer auch die politische Dimension des Films heraus. Es bezieht mit seinem Engagement für politisch verfolgte Filmemacher*innen und einem klaren Nein zu Antisemitismus immer wieder deutlich Stellung. Und dieser Anspruch ist wichtig. Es ist gut, dass FILMFEST HAMBURG sich traut, solchen Positionen eine Plattform zu geben, und selbst eine auch international wahrgenommene wichtige Stimme im Diskurs um die Freiheit der Kunst zu sein.
Können Filmfestivals Brücken Bauen und den Dialog fördern?
MR: Ja, auf jeden Fall. Film ist universell. Wir können über Filme andere Lebensrealitäten und gesellschaftliche Zusammenhänge verstehen lernen. Festivals leben von den Filmschaffenden und dem Dialog mit dem Publikum. Diese Filmgespräche sind auch bei uns das Herzstück einer jeden Vorstellung, die Menschen möchten nach dem Film auch die Regisseur*innen kennenlernen und die Schauspieler*innen auf der Bühne sehen und sie feiern.
CB: Wie könnte ich dem widersprechen? Filmfestivals vernetzen, inspirieren und lassen uns neue Horizonte erkunden. Sie sind unerlässlich für gegenseitiges Verständnis und Wertschätzung, sind Türöffner und Schaufenster zugleich. Sie fördern aber nicht nur den interkulturellen Dialog und kritisches Denken, sondern machen uns auch deutlich, welchen Wert die Begegnung, das Kino und das kollektive Erleben von Film haben. Mit Fremden Emotionen und Armlehne des Kinosessels teilend, in der Dunkelheit gemeinsam einen Resonanzraum für künstlerische Werke zu erzeugen, das kann nur das Kunsterlebnis Kino. Filmfestivals treiben dies quasi auf die Spitze und sind wie der Besuch von guten Freunden und Freundinnen – berauschend und bereichernd, immer auch ein bisschen zu viel, und zugleich voller Vorfreude auf das nächste Mal.
Gibt es einen Film, der sie beeindruckt hat oder einen Festivalmoment, an den sie sich besonders erinnern?
MR: Ja, an die Verleihung des Douglas Sirk Preises an Jafar Panahi 2018. Der iranische Regisseur saß in Haft und durfte nicht selbst anreisen. Seine Tochter hat den Preis für ihn entgegengenommen. Das war ein sehr bewegender Abend.
CB: Ja, das war der Film Pride, der vor ein paar Jahren zur Eröffnung lief. Eine wahnsinnig ermutigende Erinnerung daran, was wir als Menschen schaffen können, wenn wir nur wollen. Und für dieses Festival habe ich einen Tipp für alle, die sich beeindrucken lassen wollen: Ich hatte bereits die Gelegenheit, den neuen Film von Mohammad Rasoulof, von dem Malika Rabahallah gesprochen hat, zu sehen. Er hat mich schwer beeindruckt, auch weil er spielend Genregrenzen zwischen Familienfilm, Thriller und Gesellschaftsdrama überwindet. Er ist wahnsinnig toll gespielt und überraschend, unbedingte Seh-Empfehlung!
Wenn sie sich etwas wünschen dürften, was Carsten Brosda für das FILMFEST HAMBURG möglich machen könnte, was wäre das? Und umgekehrt: Herr Brosda, gibt es etwas, was sie sich von Malika Rabahallah wünschen?
MR: Carsten Brosda hat uns schon einen Traum erfüllt. Dank der Unterstützung der Behörde für Kultur und Medien können wir in diesem Jahr am 3. Oktober den Tag des freien Eintritts feiern. Ich bin so glücklich, dass wir vielen Menschen in unserer Stadt an dem Tag einen kostenfreien Kinobesuch ermöglichen können. Kulturelle Teilhabe ist für mich sehr wichtig. Ein paar Träume hebe ich mir aber auch noch für später auf… (lacht).
CB: Mit Malika Rabahallah hat eine engagierte Persönlichkeit die Leitung des Festivals übernommen, die mit ihrer Leidenschaft für den Film, ihren Erfahrungen und ihrem breiten Netzwerk das Festival in die Zukunft führen wird. Für unsere Kulturstadt wünsche ich mir, dass es ihr und ihrem Team auch weiterhin gelingt, erstklassige Filme und Filmmacher*innen nach Hamburg zu holen, die Branche noch stärker in den Fokus zu rücken und FILMFEST HAMBURG zu einem Treffpunkt für Kinobegeisterte und Ort der kulturellen Vielfalt auszubauen – der 3. Oktober dürfte dafür ein gelungener Auftakt sein.