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Kraft des Kinos

Mit dem Programm »Filmmaker in Focus« beleuchtet FILMFEST HAMBURG das Schaffen von zwei herausragenden Filmemacher*innen, die das Weltkino maßgeblich prägen: In diesem Jahr sind die französische Regisseurin und Goldene-Palme-Gewinnerin Julia Ducournau und der mehrfach ausgezeichnete brasilianische Regisseur Kleber Mendonça Filho mit ihren jeweils aktuellen Filmen Alpha und The Secret Agent zu Gast. Frühere Werke der beiden und ausführliche Werkgespräche ergänzen das 2019 eingeführte Format.

 

»Mit Julia Ducournau und Kleber Mendonça Filho rücken wir in diesem Jahr zwei visionäre Regisseur*innen ins Rampenlicht, deren Werke ebenso unverwechselbar wie kompromisslos sind. Auf gänzlich unterschiedlichen Wegen – in der Wahl ihrer Genres ebenso wie ihrer filmischen Handschrift – schaffen sie Filme, die unter die Haut gehen. Wir freuen uns sehr auf ihren Besuch bei FILMFEST HAMBURG. Beide gehören zu den prägenden Stimmen des internationalen Gegenwartskinos und eint der tiefe Glaube an die transformatorische Kraft des Kinos«, sagt FILMFEST HAMBURG-Programmleiterin Kathrin Kohlstedde.

 

Julia Ducournau – Kino an den Grenzen des Körpers 

 

Julia Ducournau ist auf der Höhe ihrer Zeit – modern, radikal, bildgewaltig. Ihre Filme sind kompromisslos und zugleich zutiefst menschlich. Die in Paris aufgewachsene Regisseurin lehnt Schubladendenken ab, auch in Genderfragen, und definiert sich in erster Linie als Mensch. Vom Male Gaze bewusst abwendend, stellt sie bestehende binäre Ordnungen und Strukturen infrage. Ihre intimen Body-Horror-Werke kreisen um jugendliche Fantasien, sexuelles Erwachen und Gender-Diskurse. Ihre oft einsamen Figuren leiden, handeln extrem, grausam, unberechenbar – und sind zugleich fähig zu Hass wie zu Liebe. Um sich selbst zu finden, müssen sie ihre Körper spüren, koste es, was es wolle.

 

In Raw (2016) erzählt Ducournau von einer talentierten Veterinärstudentin, die als Vegetarierin bei einem Aufnahmeritual gezwungen wird, rohes Fleisch zu essen. Das Erlebnis weckt in ihr eine unstillbare Lust auf Fleisch und konfrontiert sie mit den dunkelsten Seiten ihres Begehrens.

 

Mit Titane (2021), ausgezeichnet mit der Goldenen Palme, geht Ducournau noch einen Schritt weiter. Sie bricht radikal mit der Zweigeschlechtlichkeit, öffnet sich dem Fantastischen und erzählt die Geschichte der androgynen Serienmörderin Alexia. Seit einem Autounfall mit Titanplatte im Kopf hat Alexia einen Fetisch für Maschinen, wird von einem Auto schwanger und nimmt auf der Flucht vor der Polizei die Identität des vermissten Sohnes eines Feuerwehrmanns an. Auch dieser Film ist eine schmerzhafte, kompromisslose Transformation, »eine neue Realität, in der das Monströse zur Stärke wird. Für mich ist das ganz klar eine optimistische Vision«, so die Regisseurin.

 

Vier Jahre später kehrt Ducournau mit Alpha (2025) in den Wettbewerb von Cannes zurück – und überrascht mit einer zurückhaltenderen, aber ebenso eindringlichen Bildsprache. Das Drama spielt im Frankreich der 1980er-Jahre: Die 13-jährige Alpha lebt allein mit ihrer Mutter, einer Ärztin, in Le Havre. Als ein Gerücht die Runde macht, sie habe sich mit einer mysteriösen Krankheit infiziert, kippt ihr Alltag ins Bedrohliche. Das Virus, das die Menschen nach und nach in Marmorstatuen verwandelt, wird zur allegorischen Spiegelung der AIDS-Epidemie und legt den Zerfall einer Familie offen. Weniger explizit als in Raw und Titane, aber nicht minder intensiv, verbindet Ducournau in Alpha, der bei FILMFEST HAMBURG Deutschlandpremiere feiert, Coming-of-Age-Motiv, Body Horror und düstere Zeitgeschichte.

 

Kleber Mendonça Filho – Kino als politischer Seismograph 

 

Seine Filme entziehen sich jedem Label und sind immer für eine Überraschung gut. Der brasilianische Regisseur Kleber Mendonça Filho setzt sich unermüdlich mit seiner Heimat auseinander – mit dem Leben im Kapitalismus, mit globalen politischen Entwicklungen und einem wiederaufkeimenden, toxischen Kolonialismus. Der gelernte Journalist und frühere Filmkritiker ist ein genauer Beobachter. Er nimmt sich Zeit für seine Drehbücher und sucht im Kino nach Zusammenhängen zwischen dem Privaten und dem Gesellschaftlichen.

 

Schon in seinem Spielfilmdebüt Neighbouring Sounds (2012) zeichnete er ein präzises Porträt der brasilianischen Mittelklasse in Recife. Zwischen Hochhäusern und alten Wohnblöcken entfaltet er eine Atmosphäre latenter Bedrohung, in der Alltagsgeräusche — vom kläffenden Hund bis zum Baulärm – soziale Spannungen hörbar machen. Der Film gewann den FIPRESCI-Preis in Rotterdam und machte Mendonça Filho international bekannt.

 

In Bacurau (2019), gemeinsam mit Juliano Dornelles inszeniert und in Cannes mit dem Preis der Jury ausgezeichnet, wehrt sich eine bunte Dorfgemeinschaft in naher Zukunft gegen korrupte Politiker. Diese kappen die Wasserzufuhr, löschen das Dorf von der Landkarte und lassen zu, dass westliche Tourist*innen die Bewohner*innen in einer tödlichen Jagd verfolgen – vor allem jene, die nicht der weißen Heteronormativität entsprechen. Die genreübergreifende politische Allegorie verbindet Western, Mystery-Thriller und Science-Fiction.

 

Dass er den Glauben an das Kino und die Kraft der Gemeinschaft nicht verloren hat, zeigt The Secret Agent (2025). Der Thriller über die Terrorherrschaft der Militärjunta im Recife der 1970er-Jahre ist zugleich eine farbenprächtige Hommage an die Widerstandskraft des Kollektivs. Für seine elegante Inszenierung erhielt Mendonça Filho beim diesjährigen Festival in Cannes den Preis als bester Regisseur, Wagner Moura wurde als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet. Bei FILMFEST HAMBURG feiert der Film seine Deutschlandpremiere, bevor er am 6. November in den Kinos startet.

 

FILMFEST HAMBURG findet vom 25. September bis 4. Oktober 2025 statt. Gezeigt werden über 120 Produktionen aus aller Welt als Welt-, Europa-, Deutschland- oder Hamburg-Premieren. Festivalkinos sind das Abaton, CinemaxX Dammtor, Metropolis, Passage und das Studio Kino. Am 3. Oktober feiert FILMFEST HAMBURG den »Tag des freien Eintritts«. Alle Festivalfilme, die an diesem Tag in den fünf Festivalkinos laufen, sind kostenlos. Auch die FILMFEST UMS ECK-Kinos werden sich an der Aktion mit jeweils einer kostenfreien Filmvorführung am 3. Oktober 2025 beteiligen. Das komplette Festivalprogramm wird am 9. September 2025 bekannt gegeben.

 

Filmmaker in Focus: Die Filme im Überblick 

 

Julia Ducournau 

 

Alpha 
FR, BE 2025, 128 Min. | Regie und Drehbuch: Julia Ducournau | Besetzung: Tahar Rahim, Golshifteh Faharani, Mélissa Boros, Finnegan Oldfield, Emma Mackey

 

Raw 
FR, BE 2016, 99 Min. | Regie und Drehbuch: Julia Ducournau | Besetzung: Garance Marillier, Ella Rumpf, Laurent Lucas, Rabah Nait Oufella, Joana Preiss

 

Titane 
FR, BE 2021, 108 Min. | Regie und Drehbuch: Julia Ducournau | Besetzung: Agathe Rousselle
Vincent Lindon, Laïs Salameh, Garance Marillier, Dominique Frot, Myriem Akheddiou, Mehdi Rahim-Silvioli, Bertrand Bonello

 

Kleber Mendonça Filho 

 

Neighbouring Sounds 
BR, 2012, 131 Min. | Regie und Drehbuch: Kleber Mendonça Filho | Besetzung: Irandhir Santos
Gustavo Jahn, Maeve Jinkings

 

Bacurau 
BR, FR 2019, 132 Min. | Regie und Drehbuch: Kleber Mendonça Filho, Juliano Dornelles | Besetzung: Sônia Braga, Udo Kier, Bárbara Colen, Silvero Pereira, Thardelly Lima, Julia Marie Peterson

 

The Secret Agent 
BR, FR, NL, DE 2025, 158 Min. | Regie und Drehbuch: Kleber Mendonça Filho | Besetzung: Wagner Moura, Maria Fernanda Cândido, Gabriel Leone, Carlos Francisco, Alice Carvalho, Robério Diógenes